Halbstark
in Berlin

- Dokumentation

Buch und Regie Ute Bönnen und Gerald Endres
Kamera Friedemann Rehse
Schnitt Karin Ebmeyer
Redaktion Bernd Schauer
Produktion SFB
Erstaustrahlung B1 1999
Länge 43 min
Inhalt:

as Leben lief wieder in geordneten Bahnen, der Wohlstand in Deutschland stieg, - da schien die Jugend aus dem Ruder zu laufen: Jugendliche verletzten die strengen Kleidervorschriften, liefen in Jeans und Lederjacke herum, kämmten sich mit viel Brisk eine "Ente" und hörten Rock 'n Roll. "Halbstarke" lungerten in den Hofeinfahrten herum und bekamen Krach mit dem Hausmeister. Trafen sie sich auf der Straße oder knatterten sie mit Mopeds um den Block, dann gab es prompt Ärger mit der Polizei. In Berlin kam es mehrmals zu regelrechten Massenschlägereien mit Hunderten von Teilnehmern, beim Bill-Haley-Konzert 1958 wurde die Sporthalle verwüstet. "Wie stark sind die Halbstarken?" fragten sich die Erwachsenen. Die "zügellosen" Jugendlichen wurden zum Thema von Leitartikeln, Filmen, wissenschaftlichen Untersuchungen und Politikerreden. Im Westen galten meistens die Eltern als Schuldige: Sie hätten den Kindern zuwenig Anstand, Zucht und Ordnung beigebracht. In der DDR wurde die herüberschwappende Dekadenz des Imperialismus als Ursache ausgemacht, schließlich war das unbotmäßige Verhalten mit amerikanischer Musik und Mode verbunden.

Berliner Jugendliche wuchsen unter rauheren Bedingungen auf als in einer westdeutschen Kleinstadt oder der ostdeutschen Provinz. Außerdem gab es die Amerikaner in Berlin, im AFN liefen einige wenige Rock'n Roll-Sendungen, und später spielten auch die Westberliner Sender gelegentlich die verpönte Musik, - schon weil die DDR-Oberen dagegen waren.

Das "Halbstarkentum" war in Berlin besonders stark verbreitet. Es gab eine Vielzahl von "Banden" oder "Meuten". Die meisten dieser Gruppen waren beim genaueren Hinsehen Freundeskreise innerhalb der Nachbarschaft, in denen man herumhing und manchmal ein bißchen über die Stränge schlug. Äußere Attribute neben der Frisur, die Jeans, Cowboystiefel, Lederjacke und natürlich das Moped spielten eine wichtige Rolle, - doch die waren teuer, und die meisten "Halbstarken" und Rock'n Roll-Fans kamen aus Familien, in denen das Geld knapp war. (Bürgerkinder neigten eher zu anderen Moden, zum Beispiel "Existenzialismus": Schwarze Kleidung, dunkle Keller und Jazz). Jugendliche in Ost-Berlin hatten ein doppeltes Problem: Sie konnten sich die begehrten Dinge noch viel weniger leisten als Westberliner Jugendliche, und ihnen konnte schon das Tragen von Jeans oder das Hören der falschen Musik ernsthaften Ärger einbringen. Partei und Sicherheitsorgane gingen ab Ende der der 50er Jahre bis zum Mauerbau gegen die harmlosesten Anzeichen von "Hooliganismus" rigoros vor. Die FDJ geriet immer wieder ins Schlingern: Sie sollte die Parteilinie und den Parteigeschmack durchsetzen, aber dazu mußte sie z. B. bei Tanzveranstaltungen wenigstens ein bißchen auf den Geschmack und die Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen - und schon gab es wieder einen Rüffel von oben.

In Ost und West bekam die Gewißheit über das, was sich gehört, einen Knacks. Die damalige Aufregung über das Halbstarkentum ist nur vor dem Hintergrund der allgemeinen Spießigkeit zu verstehen, denn die meisten dieser Jugendlichen verletzten gerade mal die Kleiderordung, tanzten zu anderer Musik und trafen sich mit ihresgleichen. Ihre Normen wichen kaum von denen der Gesellschaft ab. Dennoch markierten die halbstarken Rock'n Roll-Fans eine kulturelle Wende. Zum ersten mal hatte sich eine globale Jugendkultur entwickelt, in der weltweit dieselben Attribute verwendet wurden und dieselbe Musik gehört wurde. Diese "Amerikanisierung" war eine ungeheure Provokation für die HJ-geprägte Elterngeneration in Ost und West, sie unterschied sich grundlegend von den Freiräumen, die man traditionell der Jugend einräumte.

Der Film ruft mit O-Tönen, Klammermaterial und Musik die Atmosphäre und das Klima von damals in Erinnerung. Dazu gehören die Spießigkeit und Enge, aber auch die Wünsche und Träume der Jugendlichen von damals, - und der Rhythmus des Rock'n Roll.